Ruanda ist ein gastfreundliches Land, das mindestens einen Besuch wert ist |
Wunderschön ist es, das „Land der tausend Hügel“. Ich würde ja eher sagen, es sind 10.000. Und gefühlt 100.000 Kurven auf den gut geteerten Haupt- und den echtes Offroad-Feeling vermittelnden Nebenstraßen. Berggorillas und Schimpansen kann man hier sehen, auf Safari gehen, an schönen und an gefährlichen Seen flanieren, zwischen Vulkanen oder durch den größten Bergregenwald Ostafrikas wandern. Sauber ist es. Plastiktüten sind hier seit ein paar Jahren verboten. Das sieht man den Straßen an, den Dörfern und besonders den Städten. Wo kein Müll herumflattert, wird auch weniger weggeworfen. Das bekannte afrikanische Bild mit den verdreckten Ansiedlungen und den Müllfeuern – hier findet man es kaum. Und das, obwohl die Bevölkerungsdichte hoch ist. Mit 444 Menschen pro Quadratkilometer (Deutschland 229) die höchste auf dem afrikanischen Kontinent. Zieht man die Stadtstaaten mal ab, liegt Ruanda weltweit in den Top Ten.
Fahrräder werden auch als Taxi genutzt |
Schweinische Fracht |
Selbst Busbahnhöfe sind hier geordnet |
Auch wir sind Moto-Taxi gefahren |
Die Hauptstadt Kigali - im Hintergrund das moderne Stadtzentrum |
Immer mehr öffnet sich das Land dem Tourismus, nicht nur die Berggorillas stehen dabei im Mittelpunkt. Oft sind es Praktikanten aus aller Welt, die in ihrer Heimat Werbung für das kleine Land in Äquatornähe machen. Nichts, aber auch gar nichts deutet im Alltag in diesem aufstrebenden, friedlichen und gastfreundlichen Land darauf hin, was hier vor etwas mehr als 18 Jahren tobte. Ein Völkermord, der in seiner Planung, in seiner Brutalität und seiner Effizienz zum schlimmsten gehört, was die Menschheit jemals erlebte. Und was ein Teil der Menschheit zu verantworten hat.
Den Ursprung finden wir in der deutschen Kolonialzeit, als Deutsche die Tutsi, mit etwa 15 Prozent zweitstärkste Bevölkerungsgruppe in Ruanda, gegenüber den Hutu (fast 85 Prozent, dazu noch eine kleine Gruppe von Twa-Pygmäen) bevorzugten. Als Begründung findet man oft zu lesen, dass hier die deutsche Rassenideologie die Tutsi deshalb hervorhob, weil diese den Niloten entstammen und demzufolge näher mit Europäern verwandt sein sollen als die „negroiden“ Hutu. Dem widerspricht die Aussage, die wir hier in Ruanda hörten, dass Tutsi ursprünglich die Bezeichnung für die Viehhirten und Hutu die für die Ackerbauern war, es also eine ethnische Unterscheidung in dem Sinne in Ruanda gar nicht gegeben hat. Tutsi zum Beispiel war laut einer im Jahr 1934 durchgeführten Volkszählung derjenige, der mehr als zehn Rinder hatte, Hutu demzufolge jeder mit weniger Vieh. Was für ein Wahnsinn!
Zutreffender ist demzufolge die Erklärung, dass es einfach bequem für die Kolonialherren war, ein Hilfsvolk aufzubauen, dem man ein Stück Macht und damit auch ein Stück Kontrollfunktion übergibt und das von sich aus Druck auf den Rest der Bevölkerung ausübt. Die Belgier, die im Verlauf des 1. Weltkriegs die Macht übernahmen, führten dieses System der Ungleichbehandlung fort. Auch die Katholische Kirche unterstützte es durch eine unterschiedliche Förderung in den Missionsschulen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckten die Missionare ihr „Herz“ für die nun schon stark unterprivilegierten, wenn auch deutlich in der Mehrzahl befindlichen Hutu.
So nahm das Unheil seinen Anfang. Nachdem sich die (künstliche) Trennung zwischen Tutsi und Hutu Ende der 50er Jahre erstmals in größerem Rahmen gewaltsam manifestierte, trat zwar ein grundlegender Wechsel in den Machtverhältnissen ein. Das führte aber, auch aufgrund einer zunehmenden Politisierung des Konflikts, nicht zur Beruhigung. Ende der 80er Jahre lebten 600.000 Tutsi im Ausland. Von Uganda aus fiel die Ruandische Patriotische Front (RPF), die Tutsi-Armee, nach Ruanda ein. Der Angriff konnte zwar zunächst mit Hilfe belgischer, französischer und zairischer Hilfe zurückgeschlagen werden, es gab aber auch in den Folgejahren immer wieder Kämpfe.
Die Staatengemeinschaft war frühzeitig über die Völkermordplanungen, die Waffenverteilung, die zunehmende Verhetzung der Bevölkerung informiert. Die UN verstärkte die Truppenpräsenz jedoch nicht, sondern verringerte sie nach Ausbruch der Gewalttaten von 2500 auf 270. Letztlich war es die Tutsi-Armee RPF, die, obwohl zahlenmäßig nur ein Drittel der ruandischen Streitkräfte, den Bürgerkrieg nach etwa 100 Tagen gewann und den Völkermord beendete. UN-Generalsekretär Kofi Annan, aber auch die Präsidenten Frankreichs und Belgien räumten, teilweise lange Zeit später, schwere Fehleinschätzungen und Versäumnisse ein.
Als am 6. April 1994 die Maschine des Präsidenten beim Landeanflug auf Kigali abgeschossen wurde und alle Insassen starben, begann der Völkermord. Neueste Untersuchungen machen Hutu-Extremisten dafür verantwortlich, die einen Vorwand für den Genozid brauchten. Schon eine halbe Stunde später wurden die ersten Tutsi regelrecht hingerichtet, unter ihnen die Premierministerin und die sie bewachenden zehn belgischen UN-Soldaten. In den folgenden Tagen breitete sich die Gewaltwelle über das ganze Land aus. Waren es anfangs vor allem Einzeltaten, wurden später die Zufluchtsstätten von Tutsi, besonders Kirchen und Schulen, zu tödlichen Fallen. Mit Handgranaten, Schuss- und Hiebwaffen wurden alleine an solchen Plätzen etwa 250.000 Menschen umgebracht.
Die meisten der Täter, man spricht in seriösen Schätzungen von mehr als 200.000, sind heute wieder auf freiem Fuß oder wurden nie verurteilt. Sie leben in unmittelbarer Nachbarschaft mit Menschen, die früher schon ihre Nachbarn, ihre Kollegen, ihre Freunde waren. Bis sie Teile dieser Familien auslöschten. Für viele Opfer ist es eine fortwährende Qual, die Menschen und deren Kinder in Frieden aufwachsen zu sehen, die ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Verwandten massakriert haben. Frauen, die infolge von Vergewaltigungen mit Aids infiziert wurden, können die Medikamente nicht bezahlen. Täter in den Gefängnissen werden dagegen bestens medizinisch versorgt, weil es dafür internationale Hilfsmittel gibt. Zigtausende Kinder mussten plötzlich als Haushaltsvorstand Verantwortung für jüngere Geschwister übernehmen, ohne Erfahrung, ohne Einkommen. Täter wie Opfer leiden oftmals unter schweren psychischen Folgen der Ereignisse.
Kann man solch ein Grauen vergessen? Definitiv nein. Kann man so etwas vergeben? Ich könnte es nicht.
Als Gast im Land spürt man von alldem nichts. Man sieht eine Nation, die sich entwickelt, die aufblüht, die dem Nachwuchs eine Zukunft bietet. Große Infrastruktur- und Hilfsprojekte wurden und werden mit Hilfe aus dem Ausland finanziert. Internationales Kapital fließt seit mehr als anderthalb Jahrzehnten reichlich nach Ruanda, ermöglicht Investitionen, bringt Arbeit und Wohlstand. Ist es das schlechte Gewissen der Weltgemeinschaft, die durch ihre Ignoranz den Völkermord begünstigte und die nun durch großzügige Unterstützung versucht, etwas wieder gutzumachen?
In Ruanda trifft es noch mehr als anderswo zu: Die Kinder sind die Zukunft |
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