Thüringer Gipfelsturm
2009 jährt sich zum 120. Mal die Erstbesteigung des Kilimanjaro. Der mit seinen (nach letzter Messung) 5893 Metern über dem Meeresspiegel höchste Berg Afrikas hat lange Zeit als Legende gegolten und dann einige Angriffe auf seinen Gipfel abgewehrt, bevor er schließlich am 6. Oktober 1889 bezwungen wurde – von einem Thüringer. Erstbesteiger des Kilimanjaro war – in Begleitung des Österreichers Ludwig Purtscheller und des Bergführers Yohani Kinyala Lauwo – ein Hildburghäuser. Hans Meyer hieß er, war ein deutscher Geograph, ehrgeiziger Verfechter kaiserlichen Kolonialisierungs- betrebens und Spross der Familie, deren Name in lexikalischer Hinsicht auch in Wikipedia-Zeiten noch in vieler Munde ist.
Warum schreibe ich das? Nun, Meyer (geboren am 22. März 1858 – also vor 150 Jahren und ein paar Monaten) hisste auf dem höchsten Punkt des Kibo, den er „Kaiser-Wilhelms-Spitze” nannte, die Reichsflagge. 120 Jahre Gipfelsturm und das 150. Geburtsjahr des Bezwingers sind doch ein guter Anlass, dass sich da oben ein paar Thüringer blicken lassen. Jetzt zu sagen, dass sich vier Arnstädter, zu denen ich gehöre, deshalb aufmachen, um 4900 Meter über ihren heimischen höchsten Gipfel „hinauszuwachsen”, wäre allerdings maßlos übertrieben. Schließlich muss man heute nichts mehr in Besitz nehmen, weder für Kaiser, Kanzlerin oder wen auch immer. Warum aber setzt man sich einer solchen Tortur aus? Warum nimmt man die Gefahren der Höhenkrankheit in Kauf, gibt man einen Haufen Geld aus für kalte Nächte im Zelt, wenig Schlaf und Ungewissheit, ob man das Ziel überhaupt erreicht? Ganz einfach: Aus Liebe!
Ja, werden Sie jetzt denken – wenn ein Franzose so etwas sagt, dann… Aber ein Thüringer? Na aber hallo! Auch Thüringer können lieben! Den Thüringer Wald zum Beispiel. Oder Afrika, die Natur, die Herausforderung. Und selbstverständlich ihre Frau. Von letzteren weiß man, dass sie nicht nur Kinder in die Welt setzen, sondern zuweilen auch absonderliche Ideen. Und so kam es auch in meinem Fall, dass meine weitaus bessere Hälfte mit ihren Nordic-Walking-Mitstreiterinnen den Gedanken in die Welt setzte, doch mal den Kilimanjaro zu besteigen. Schließlich hatte man – Verzeihung: Frau – die 24-Stunden-Tour rund um Ilmenau mit mehr als 80 Kilometern Walkingstrecke auch weitgehend unbeschadet überstanden, dabei sowohl physische als auch psychische Stärke bewiesen – warum also nicht mal auf den höchsten Berg Afrikas gehen?
In Thüringen sind die höhentechnischen Herausforderungen im Vergleich dazu in der Tat bescheiden. Was nicht heißt, dass man hier auch schon ordentlich ins Schnaufen kommen kann. Nehmen Sie mal den Veronikaberg oberhalb Martinrodas oder den Weg vom Arnstädter Markt hinauf zur Alteburg schwungvoll in Angriff, und schon werden Sie merken, dass auch kleine Herausforderungen großer Anstrengungen bedürfen. Aber mal ehrlich – was sind schon der Veronikaberg und die Alteburg gegen den Kilimanjaro?!
So hoch, so gut – bisher war von mir ja noch gar nicht die Rede. Um ehrlich zu sein, hatte mich das nicht allzu sehr beschäftigt, was will man auch gegen die Pläne seiner Herzensdame einwenden. Als aber von den vier Walking-Verliebten mit der Berufung zu Höherem nur noch zwei übrig blieben, waren plötzlich wir Männer als Begleiter im Gespräch. Gut, ein wenig danach gedrängt haben wir uns in der Tat, schließlich weiß man ja nicht, welche Naturburschen den Damen auf einer solchen Wanderung begegnen. Da quält man sich doch lieber selbst ein bisschen – und eine coole Sache ist es ja schon.
Der Berg der vielen Namen
Noch vier Tage, dann geht es los zum Kilimanjaro. Ich neige übrigens, wie der geneigte Leser unschwer erkannt haben dürfte, zur internationalen Schreibweise und nicht zum deutschen „Kilimandscharo”. Mir gefällt das elegante „j” besser als das plumpe „dsch”. Ich würde auch nicht auf die Idee kommen, „Dschessica” zu schreiben. Andererseits schreibe ich ja auch Dschungel. Na ja, Kilimanjaro finde ich jedenfalls schöner als die koloniale Entsprechung. Interessant ist übrigens, dass es keine Einigkeit darüber gibt, wo der Name nun herkommt und was er bedeutet. Einmal kann man lesen, dass „Kilima Njaro” auf Ki-Swahili weißer Berg heißt, andere Quellen wiederum übersetzen das mit „Berg des bösen Geistes”. „Berg der Erhabenheit”, „Weiß leuchtender Berg”, „Haus Gottes” oder „Berg des Quellwassers” sind andere Deutungen.
Ich für mich nenne ihn je nach Gemütszustand „Beeindruckend hoher Berg” oder „Wahnsinnig hoher Berg”. Zurzeit tendiere ich sogar noch ein wenig mehr zu „Verflucht hoher Berg”. Ich bin ziemlich sicher, wenn ich die ersten Tagesetappen hinter mir, Blasen unter mir und Muskelkater in mir habe, werde ich noch ganz andere Beschreibungen finden. Aber vielleicht wird es auch gar nicht so schlimm. Sind ja schon andere hochgekommen. Ältere, Dickere, Raucher. Sind aber auch schon andere umgekehrt. Jüngere, Schlankere, Sportlichere. Egal. Habe schließlich nirgendwo etwas gefunden, wo man „Kilimanjaro” mit „Berg der Selbstzweifel” übersetzt. Muss ich mich also jetzt nicht verrückt machen – dazu habe ich an den fünfeinhalb Aufstiegstagen noch genug Zeit.
Übrigens – ich gebe es ja zu. Zu Beginn unserer Planungen habe ich mir weniger Gedanken um den Ursprung des Namens dieses Berges gemacht, sondern vielmehr über seine geografische Lage. Afrika und Äquatornähe – das war aus dem lange zurückliegenden Geografieunterricht noch in meinem Kopf geblieben. Aber zu welchem Land gehört der Berg eigentlich? Zum Glück gibt es Atlanten und das Internet. Und die sagen übereinstimmend: Tansania (internationale Schreibweise: Tanzania). Da muss ich als Globetrotter gestehen, ich hätte auf Kenia getippt. Zu meiner Ehrenrettung darf ich anfügen, dass die Grenze nicht weit entfernt ist.
Der höchste Berg Afrikas ist es gar nicht
Ich hatte Tansania bisher immer mit Serengeti und Sansibar in Verbindung gebracht. Nun also der Kilimanjaro. Nur etwa 340 Kilometer vom Äquator entfernt und doch mit Gletschern bedeckt. Und einer der wohl häufigsten geografischen Fehlerverursacher auf der ganzen Welt. Wieso? Ganz einfach. Auch ich war, bis ich mich näher mit dem Thema befasste, der Meinung, dass der Kilimanjaro der höchste Berg Afrikas sei. Sie auch? Da haben wir’s. Ist nämlich falsch. Oder zumindest nicht korrekt. Schließlich ist auch nicht der Himalaya der höchste Berg der Erde. Wie bei jenem handelt es sich nämlich beim Kilimanjaro um den Namen des Hochgebirges, von dem aus sich einzelne Gipfel in den Himmel strecken. Der höchste und einzig wahre – wenn auch verkannte – Titelträger ist der Kibo. Bei dessen Namen ist man sich übrigens ziemlich einig, der wird nämlich mit „Der Helle” übersetzt. Und ebenso sicher ist man sich bei der höchsten Erhebung auf dem Kibo. „Uhuru Peak” heißt sie, was übersetzt nichts anderes bedeutet als „Freiheitsgipfel”. Bei dem handelt es sich um keinen anderen als die eingangs benannte „Kaiser-Wilhelms-Spitze“, die zwischen 1889 und 1918 den höchsten deutschen Berg krönte – danach konnten sich die Engländer seiner rühmen.
Aber genug der Geschichtsstunde. Obwohl, ein weiterer Blick bleibt Ihnen und mir nicht erspart. Denn eine Reise beginnt schließlich nicht mit dem ersten Schritt, sondern schon lange vorher. In unserem Fall Ende Januar 2008, als klar war, dass Grit und Jürgen sowie Heike und ich die Reise in Angriff nehmen wollen und ich die ersten Links zusammensuchte, um mich über Reiserouten, Kosten und Anbieter zu informieren. Mit der Informationssammlung ging der Februar ins Land, im März folgte dann die Fahrt mit Heike zur Internationalen Tourismusbörse nach Berlin. Dort erhielten wir einiges an Prospekten sowie die Adressen weiterer Ansprechpartner. Nachdem wir schnell festgestellt hatten, dass die Komplettangebote der großen Reiseanbieter allesamt aus verschiedenen Gründen nicht unsere Zuneigung fanden, schrieb ich fünf Tourveranstalter per E-Mail an. Von dreien kam Antwort, und schnell kristallisierte sich heraus, dass eigentlich nur Afromaxx infrage kommt, ein kleines, familiäres Unternehmen, dessen zusätzlicher Vorteil neben einem im Vergleich mit der Konkurrenz sehr guten Preis-Leistungsverhältnis auch noch der ist, dass die Besitzer aus Deutschland stammen. Das Ganze wäre in englisch auch kein Problem gewesen, aber es ist selbstverständlich von Vorteil, wenn man Vertragsverhandlungen in seiner Muttersprache abwickeln kann.
Ursprünglich wollten wir ja die Machame-Route nehmen, die im Gegensatz zur Hauptstrecke, der Marangu-Route nicht so überlaufen ist und auch ein wenig ursprünglicher. Afromaxx hatte aber auch die Lemosho-Route im Angebot, eine Strecke, in der man auf den ersten drei Tagesabschnitten nahezu allein unterwegs ist und dann auf die Machame-Route stößt. Diese Route hat den Vorteil, dass sie einen Tag länger ist, somit eine bessere Akklimatisierung ermöglicht und damit die Chance, den Gipfel zu erreichen, erhöht. Denn eins ist uns klar: Das wird kein Spaziergang. Zwischen 65 und 85 Prozent schwanken die Angaben zu den erfolgreichen Besteigungen – und die Lemosho-Route wird überall als die mit der höchsten Gipfelwahrscheinlichkeit geführt. Das war schon ein Grund für uns, Afromaxx zu bevorzugen. Ein weiterer war, dass hier Gruppen schon ab vier Personen möglich sind, was für uns ideal war, da wir uns nicht auf die Ungewissheit in Bezug auf Mitwanderer einlassen mussten. Außerdem gehört bei Afromaxx neben dem Hauptführer, den Trägern und dem Koch auch noch ein Assistenzführer zum Team, was mehr Spielraum ermöglicht, wenn das Tempo der Gruppenmitglieder zu unterschiedlich sein sollte.
Die Entscheidung für den Anbieter war also gefallen, jetzt ging es noch um den exakten Termin und den Flug. Klar war, dass wir zum Kilimanjaro-Airport fliegen wollten, um uns lange Bustouren zu ersparen, was die Zahl der Anbieter deutlich einschränkte. Aus Tansania erhielten wir die Empfehlung, Ethiopian Airlines gegenüber Condor und KLM zu bevorzugen. Das fiel uns aus mehreren Gründen leicht. Es handelt sich um die sicherste Fluglinie Afrikas, Sicherheitsbedenken spielten also keine Rolle bei der Entscheidung. Der Preis lag zum Zeitpunkt unserer Buchung 300 Euro unter dem von Condor und 450 unter dem von KLM. Mit Condor hätten wir zudem 14 Tage fliegen müssen, da sie die Strecke nur einmal wöchentlich bedienen. Bei KLM gab es dagegen riesige Wartezeiten in Amsterdam. Versüßt wurde die Entscheidung für Ethiopian Airlines zudem noch durch die 45 Kilogramm Freigepäck pro Person im Gegensatz zu den 20 kg der anderen Fluglinien. Das werden wir zwar nicht ausschöpfen, aber man muss auch nicht knausern.
Im Zuge der Verhandlungen rief ich auch einmal in Tansania an bei Madeleine Schröder, die gemeinsam mit Alexander Jatho Afromaxx aufgebaut hat. Das Gespräch war zwar nur von kurzer Dauer, weil es ohne ersichtlichen Anlass zusammenbrach, in der folgenden Mail stellte Madeleine jedoch fest, dass ich aufgrund der Telefonnummer aus ihrer Heimatregion stammen müsse. In der Tat, sie wuchs in Stadtilm auf, wir wohnen in Arnstadt. Ist die Welt nicht ein Dorf? Wir begeben uns in Afrika auf die Spuren eines Thüringers – und treffen auf Thüringer.
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