Mittwoch, 20. Juni 2012

Kaffeefahrt auf Tansanisch

Noch sind nur wenige Kaffebohnen reif.
Es ist gar nicht so einfach mit dem bloggen. Passiert nichts interessantes, hat man auch nichts zu schreiben. Erlebt man was, dann hat man keine Zeit, etwas in den Computer zu tippen. Denn schließlich ist das ja hier eine Auszeit, sprich etwas, wo man auch Zeit für sich haben möchte. Außerdem unterscheidet sich das, was wir jetzt für "nicht interessant" empfinden, schon sehr von dem, was wir vor drei Wochen für berichtenswert hielten. So sind zum Beispiel die Anmachversuche auf den Straßen schon ganz normal, zumal sie deutlich weniger geworden sind, seit mehr Touris hier sind, und auch deutlich kürzer werden, seit ich sie auf Kiswahili abwehren kann. Aber ich will ja nicht über das schreiben, was wir nicht mehr für erwähnenswert halten, sondern über die interessanten Dinge. Und das ist heute eine Kaffeefahrt auf Tansanisch.

Zu den Tagesausflügen, die Afromaxx seinen Gästen anbietet, gehört eine Kaffeefahrt. Die allerdings hat nicht nur nichts mit den von Deutschland bekannten Nepp-Veranstaltungen zu tun, sondern reinweg gar nichts.

Amani kommt pünktlich (ja das gibt es hier auch) um 9 Uhr mit dem Kleinbus vor das Rose Home gerollt. Er stellt sich fröhlich als Mister Peace vor, was sprachlich absolut richtig ist, denn Amani auf Swahili heißt Frieden. Ebenso herzlich werden wir von Oscar begrüßt, der sich als Tourführer vorstellt und als Frohnatur entpuppt. Kurz darauf kommen vier weitere Deutsche, die in der Kaliwa-Lodge, der neuen Unterkunft von Afromaxx, übernachten. Die Fahrt beginnt, mit kurzen Unterbrechungen, bei denen wir Wasser und zwei Italiener aufnehmen. Dann geht es ein Stück Richtung Osten, um nach kurzer Zeit Richtung Kili auf eine Holperpiste abzubiegen, die uns nach Materuni bringt.

Während der halbstündigen Fahrt erzählt Oscar davon, dass die Missionare früher die Hügelketten, die vom Kilimanjaro ausgehen, abwechselnd aufgeteilt haben, so dass sich katholische und lutheranische Dörfer abwechseln. Immer neben der Kirche war die Grundschule, was zur Folge hatte, dass Oskar in seiner Schulzeit der Spaß am Fußball spielen verging. Die meiste Zeit waren die Jungs nämlich damit beschäftigt, dem den Hang hinunterrollenden Ball nachzujagen.

So vergeht die Fahrt inklusive afrikanischer Massage - sprich ordentlicher Huckel-Schüttelei - rasch. Nach einem kurzen Fußweg begrüßte Oscar uns auf dem Anwesen seiner Eltern, die ihren Lebensunterhalt in erster Linie mit dem Kaffeeanbau verdienen. Inzwischen nicht üppig, aber doch auskömmlich, wie er sagte. Seitdem Deutsche den Kaffee an den Kilimanjaro gebracht hatten, habe der sich schnell zu einer Haupteinnahmequelle entwickelt. Die Sorte Arabica gedeiht hier zwischen Bananenstauden in der regen- wie sonnenreichen Region sehr gut. Allerdings waren die Kilopreise vor Jahren zwischenzeitlich auf 350 Tansanische Schilling, noch nicht einmal 20 Cent, abgesunken. Damals holzten viele ihre Bäume ab, stiegen auf Feldfrüchte wie Bohnen um. Inzwischen kann man für ein Kilo rohe Kaffeebohnen hier je nach Saisonzeit zwischen 2 und 3,50 Euro bekommen - kein Wunder, dass der Kaffeepreis in Deutschland so in die Höhe geschossen ist.

Oscars Kaffee - in einem guten Jahr etwa 600 Kilogramm - wird nach China exportiert. Und in seinem Heim getrunken, selbstverständlich. Hier können ihn auch Touristen genießen, seit er diese Tour für Reiseanbieter durchführt. In der Saison ein- bis zweimal die Woche, seit März aber nur viermal. Nichts zum reich werden, also, aber ein willkommener Zuverdienst. Und es macht ihm offensichtlich großen Spaß.

Oscars Neffe war von Pooh begeistert.
Zuerst führt er uns auf glitschigem Boden, am Vortag hat es zweimal ausgiebig geregnet, in seine Plantage. Die befindet sich am Hang, höchste Rutschgefahr. Noch ist das kein Problem, wenn aber von Juli bis November geerntet wird, dann möchte ich hier nicht bei Nässe rumackern müssen. Die Bohnen an den Kaffeepflanzen reifen unterschiedlich, so dass man die Runde in den fünf Monaten mehrfach machen muss. Wir sehen ein paar reife Bohnen und erfahren einiges über die Pflege der Pflanzen, deren Harmoniebedarf zwischen Feuchtigkeit und Trockenheit, Sonne und Schatten, und über drohende Krankheiten.

Kaffee zubereiten.
Dann geht es zurück auf den Hof, wo auf einem Gitter schon rohe Bohnen liegen. Die haben ihre rote Haut schon verloren, müssen aber trotzdem noch von ihrer hellen Schale befreit werden. Das geschieht in einem großen Mörser, an dem wir uns alle mal versuchen dürfen. Die Trennung der Schalen und der offensichtlich unkaputtbaren Bohnen übernimmt Oscar.

Eine heiße Angelegenheit.
Es folgt der Röstprozess, der im Topf auf dem Holzfeuer keine 15 Minuten unter ständigem Rühren dauert. Die nun dunkelbraun bis fast schwarz gebrannten Bohnen dürfen ein bisschen abkühlen, bevor sie - jetzt deutlich brüchiger, im Mörser zu Kaffeepulver zermahlen werden. Davon nimmt Oscar eine Kelle, mischt sie mit etwas braunem Rohrzucker und gibt uns jedem etwas davon auf die Hand. "Ein Schuss Kaffee für zwischendurch" sagt er, bevor wir uns das Gemisch in den Mund schütten. Echt lecker, kann ich nur empfehlen.

Kaffeegenuss in geselliger Runde.
Dann geht das Pulver seinen traditionellen Weg, und kurze Zeit später haben wir dampfenden, schwarzen Kaffee in unseren Gläsern. Normalerweise trinken wir Kaffee ohne Zucker, hier rundet er den Genuss aber perfekt ab. So freuen wir uns, dass es Nachschub gibt.

In der folgenden Stunde bis zum Lunch, bei dem es zusätzlich zum Lunchpaket frisch von der Staude geschlagene Kochbanenen mit Bohnen gibt, erfahren wir viel über die Lebensweise der Chagga, so heißt der hier verbreitete Volksstamm. So, dass sie selbst untereinander wenig Persönliches preisgeben, weil es ja sein könnte, dass der Gesprächspartner weniger Kinder hat oder Familienmitglieder, die früh gestorben sind. Und da könnte die Zahl der eigenen Kinder oder das eigene Alter als Aufschneiderei gewertet werden. Tiere werden in geschlossenen Verschlägen gehalten, weil es neidische Mitmenschen geben könnte, die sie mit dem bösen Blick verhexen. Auch meidet man selber in fremden Orten Augenkontakte, weil es sein könnte, dass einem die gute Kleidung oder der möglicherweise vorhandene Reichtum geneidet wird. Also: Obacht vor dem bösen Blick.

Was jetzt aber nicht heißt, dass jeder nur für sich lebt. Die Familienbande sind sehr eng. Zu eng für manche, so dass sie lieber in die Anonymität der Großstadt flüchten. Denn nicht ganz so arbeitseifrige Familienmitglieder lassen sich gerne auch mal von den fleißigen durchfüttern. Andererseits ist die Abwanderung in die Städte auch traditionell bedingt. Der jüngste Sohn erbt Grund und Boden, die anderen müssen sich etwas anderes suchen.

Oscar ist der Jüngste, zwölftes Kind von 13, aber nach ihm kam nur noch eine Schwester. Sein Weg war nicht leicht, denn als er in die Schule kam, verlor der Vater den Job. Die Familie konnte sich zwar ernähren aufgrund der Pflanzen auf dem Grundstück. Schulgeld - 15 Euro pro Schuljahr auf der siebenjährigen Grundschule - war aber lange Zeit nicht drin. Englisch wird in Tansania nur auf der weiterführenden Schule unterrichtet, so dass seine erste Bekanntschaft mit dieser Sprache die über Wazungu - Weiße - war.

"Und die, da war ich mir damals ganz sicher, waren alles Killer" erzählt Oscar. Im Radio, sein Vater hatte eins von ganz wenigen im Dorf, hatte er mal was von Krieg in Europa mitbekommen. Insofern war klar, dass die Weißen nun in sein Land kamen, um die Einwohner umzubringen."Wahrscheinlich mit den komischen Dingern, die sie sich vor die Augen halten, um auf Afrikaner zu zielen", glaubte Oscar damals. Dass das Kameras sind, die dazu dienen, Erinnerungen festzuhalten, erfuhr er erst später. Auch heute noch, so sagt er, sind viele seiner Landsleute überzeugt, dass Kameras Böses mit ihrer Seele anstellen. Andere haben entdeckt, dass man nur für eine steife Pose mehr Geld bekommen kann als für einen Tag Arbeit. So haben die Touristen selber dafür gesorgt, dass man heute kaum noch ein Foto mit Einheimischen machen kann, ohne ihnen dafür Geld zu geben.

Nun, Oscar bekam irgendwann mit, dass die Besucher zurück lächelten, wenn er lächelte. Dass sie für Unterstützung Stifte, Süßigkeiten und manchmal sogar Geld gaben. "Als ich das erste Mal Geld bekam, erzählten mir Landsleute, dass das der Beweis wäre, wie übel es die Weißen mit uns meinen. Das sei doch Falschgeld, sagten sie. Oder ob ich schon mal von Geld gehört hätte, das Dollar heißt, Hatte ich nicht, also nahmen sie es mir ab und gaben mit ein paar Schilling dafür", erzählt uns Oscar.

Auf einem Yucca-Blatt kann man gut schreiben.
Als er vom richtigen Tauschkurs erfuhr und viele Schillinge mit nach Hause brachte, bekam er eine Tracht Prügel von seiner Mutter. Die dachte, er hätte es gestohlen. "Auch beim zweiten Mal war das so. Erst langsam begriff sie, dass es Leute gibt, die uns für kleine Gefälligkeiten so viel Geld geben" erinnert sich "hill-born" Oscar. Er begann, englisch zu lernen. "Hawayu" war das erste Wort, dass er aufschnappte. Sein Vater erklärte, dass es sich dabei um "how are you" handele. Und so ging es weiter. "Kofi" war das nächste Wort - "Koffee". Kaffee. Kahawa. Oscar hörte etwas, schrieb es auf das Blatt einer Yucca-Palme. Sein Vater erriert die Bedeutung und übersetzte. Heute redet Oscar auf Englisch wie ein Wasserfall.

Mama Oscar holt Kochbananen.
Inzwischen geht seine Mutter gut damit um, dass Weiße auf ihrem Hof essen, ihr zusehen, wie sie kocht. Schließlich bekommt sie auch was davon ab, was Oscar auf die Art verdient, sei es durch die Tour, oder dadurch, dass man seinen Kaffee auch kaufen kann.

Dem guten Essen folgt ein ausgedehnter Verdauungsspaziergang, über den ich im nächsten Eintrag schreibe. Ist doch ganz schön lang geworden heute.

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